Freitag, 11. September 2009

Im Museum fliegen


Gezwitscher im Gemälde


Die Künstler zeigen uns den Vogel. Schon auf dem Begleitheft zur laufenden Ausstellung Bilderträume. Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch lugt eine graue Taube hinter einem großen Schlüsselloch hervor. Und auch in der Neuen Nationalgalerie versteckt sich das gefiederte Motiv in zahlreichen surrealistischen Gemälden: Bei Dalí (Der Traum kommt näher) picken gleich mehrere Vögel auf einer monumentalen Tischdecke. Bei Frida Kahlo ist es nur einer. Sie hat ihn dafür in einem Selbstbildnis auf ihrer Stirn platziert. Max Ernst schließlich war das Federvieh so wichtig, dass er es zum Titel ganzer Gemälde erhob: Wald und Vogel.



Max Ernst hatte einen Vogel René Magritte: Der Äquator (Detail), 1942


Der deutsche Künstler war dem Tier regelrecht verfallen. Mit 17 Jahren habe er bereits sein Vogel-Faible entdeckt, erklärt er in Autobiografischen Notizen. Nämlich als sein geliebter Papagei am selben Tag starb, an dem seine Schwester geboren wurde. Hysterisch und depressivsei er daraufhin gewesen. Kurzweilig habe ihn das Verhältnis von Mensch und Tier verstört. Auf lange Sicht aber würde sich jene Verwirrung immer wieder auf seine Leinwand schleichen. Ernst identifizierte sich mit dem Vogel. „Loplop, den Höchsten aller Vögel“ nannte er sein Alter Ego, das seine Malerei und Plastik häufig ziert. Zufällig erinnerte außerdem sein Äußeres an einen Adler, fanden seine Künstlerkollegen. Ihm wurde ein „scharfer Blick“ nachgesagt - und eine Nase, die einem Raubvogelschnabel glich.


Der Realität davonfliegen


Bilderträume legt, neben Joan Miró, den Fokus auf Max Ernst. Trotzdem erklärt sein Einzelschicksal nicht die kreativen Absichten anderer surrealistischer „Vogelbeobachter“. Wenn man aber die Gänge der Neuen Nationalgalerie entlang wandelt, fragt man sich danach. Halbe Skulpturen und grüne Monster lachen ihrem Betrachter dort mit schiefen Mündern entgegen, als wollten sie ihn rasch verschlingen. Entblößte Körper stehen verloren an dunklen Bahnhöfen. Meereslandschaften mischen sich mit Wüsten. Kindliche Formen mit überpräzisen. Bunt mit Grau. Vernunft mit Wahn. Traum mit Albtraum. Und während große Künstlernamen an einem vorbeifliegen - Jean Arp, Yves Tanguy, Dorothea Tanning, Léonor Fini - flattert auch immer wieder ein Vogel in dieses düstere, mysteriöse Wirrwarr. Warum?

Die Epoche des Surrealismus begann nach dem Ersten Weltkrieg und endete nach dem Zweiten. Sie war geprägt von dem Wunsch nach Freiheit, Flucht und Frieden. Nicht umsonst versuchten ihre Anhänger, das Bewusstsein auszuhebeln und die Wirklichkeit zu verlassen. Sie wollten in ihre Träume kehren, ihre Illusion zum Alltag machen. So begegneten sie der Kriegsrealität mit viel Fantasie - und Formen. Hätten die Surrealisten also ein besseres Sinnbild für ihr Innenleben finden können als den Vogel? Der die Welt nur aus der Luftperspektive wahrnimmt? Einer zerstörten Erde einfach den Rücken zukehrt, wenn sie ihm oder er ihr nicht gefällt?


Der Blick durchs Schlüsselloch


Auf den ersten Blick scheint Bilderträume vielleicht wenig mehr als die zusammen gewürfelte Sammlung eines kunstbegeisterten Ehepaars zu sein. Spätestens auf den zweiten beeindruckt die Werkschau, weil sie Antworten sucht, nie aber gibt. Sie stellt Fragen, verwundert, lässt Details offen. Wie bereits das Begleitheft. Erst wenn man die Broschüre öffnet, blickt man hinter das Schlüsselloch und auf das gesamte Gemälde René Magrittes. Und stellt fest: Neben die eine graue Taube hat er noch zwei weitere gemalt, umrahmt von schlichter Landschaft. Drei Friedensvögel. Sonst nichts.






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